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1. Athosreise 5.6.1988 - 8.6.1988

 

Wie alles anfing

Die Anfänge dieser ersten Fahrt zum Heiligen Berg reichen zurück bis zum 29. November1981. Man könnte fast sagen, daß sich an diesem Abend eine Weiche stellte, die mein Leben in Zukunft nicht unerheblich verändern sollte - nur merkte ich damals noch nicht das Geringste davon. Im Rahmen einer Adventsfeier wollte es der Zufall, daß ich bei einer Tombola mit meinen Losen die beiden Haupttreffer gewann, beides Buchpreise. Auf Letzterem prangte ein bärtiges Gesicht, und beim flüchtigen Durchblättern fielen mir viele südländische Landschaftsaufnahmen mit burgenartigen Klöstern auf, dazwischen Tagebuchaufzeichnungen. Ersteres erregte da schon eher meine Aufmerksamkeit: ein opulenter Bildband über die Wittelsbacher in Bayern - Seen, Schlösser und Berge meiner Heimat.

Natürlich wollte ich nicht beide erste Preise für mich behalten und entschloß mich, das zweite Buch noch einmal zur Verlosung zu stellen. Doch es kam ganz anders: "Zufälligerweise" wollte auch mein Tischnachbar einen Blick in meine Bücher werfen und weil ich gerade mit den Wittelsbachern beschäftigt war, nahm er das andere zur Hand: Emanuele Grassi - Eine Pilgerfahrt zum Berg der Asketen. Ohne selbst dort gewesen zu sein, wußte er doch manches über den Heiligen Berg. Mönchsstaat - Bibliotheken - Schatzkammern - unberührte Natur: Das waren einige Schlagworte seiner eindringlichen Erzählungen. Ich müsse das Buch unbedingt behalten, beschwor er mich. Ein Funke war übergesprungen. Noch heute ist Emanuele Grassis Bildband mein Lieblingsbuch in meiner bescheidenen Athosbibliothek.

Anreise

Es dauerte noch Jahre, bis sich der Wunsch konkretisierte, den Athos selbst einmal zu besuchen. Ich fand weitere Literatur und traf Leute, die schon dort waren. Schließlich war es dann soweit: Kombiniert mit einem Familienurlaub in Griechenland wollte ich den Heiligen Berg besuchen. Mit einem Empfehlungsschreiben meiner Pfarrgemeinde und einem polizeilichen Führungszeugnis im Gepäck begann meine erste Reise nach Griechenland. Es war eine Zweitagesfahrt über den berüchtigten Autoput durch das damals noch geeinte Jugoslawien. Minarette in manchen Dörfern, kyrillische Buchstaben auf den Ortsschildern zeigten uns, dass wir Mitteleuropa hinter uns gelassen hatten. Neben den Straßen Wellblechbaracken und Holzverschläge, die offensichtlich Menschen als Behausung dienten, streunende Hunde, Ziegenherden und an den Rastplätzen Betrüger, die mit ihrem Hütchenspiel den Touristen das Geld abluchsten. Am Abend des ersten Reisetages kam bei mir eine Ahnung auf, was das Wort Balkan eigentlich bedeutet. Die Nacht verbrachten wir in einem Motel unweit von Nis, dem Geburtsort von Kaiser Konstantin dem Großen. Da paßte es, daß die Herberge äußerlich einem morgenländischen Serail nicht unähnlich war. Im Inneren dagegen war sie eher muffig und mit abgenutzten Möbeln ausgestattet, also nicht anders als jedes beliebige billige Hotel irgendwo auf der Welt. Doch nach 15 Stunden am Steuer ist man nicht wählerisch: Die Cevapcici mit Zwiebeln und Pommes waren super und der erste Schluck Bier eine Offenbarung! Daß wir übrigens mit unseren getauschten Dinaren sehr sparsam umgingen, erwieß sich später bei der Heimreise als vergebliche Askese: Innerhalb dreier Wochen war die Inflation so fortgeschritten, daß unser restliches jugoslawisches Geld praktisch wertlos war. "In den Schluchten des Balkans", um den Buchtitel eines meiner Lieblingsautoren hier zu zitieren, war mir ehrlich gesagt weder am Tag noch in der Nacht so richtig geheuer und ich war froh, am Nachmittag des zweiten Reisetages die griechische Grenze zu erreichen. Endlich! Alles schien wieder ein bißchen europäischer. Das Abenteuer Athos konnte jetzt beginnen.

Letzte Vorbereitungen

Die adrette Unterkunft in Sarti, auf dem mittleren Chakidikifinger gelegen, von Deutschland aus von "unserem" griechischen Wirt gebucht, der nebst anderen Stammgästen mit uns gleich nebenan wohnte, hatte natürlich Blick auf den Athos. Gleich in den ersten Tagen fuhr ich zurück nach Thessaloniki, um die diversen Empfehlungsschreiben für das Diamonitirion zu organisieren: Zuerst natürlich der Gang ins Deutsche Konsulat, das unweit der Uferpromenade in der nach dem genialen französischen Byzantinisten Charles Diehl (1859-1944) benannten Straße liegt. Solange dieser Gang in all den Jahren notwendig war, wurde ich von dem selben freundlichen aber distanzierten älteren griechischen Herrn an der Eingangstüre begrüßt, woraufhin ich meinen Rucksack hinter der Tür lassen mußte und er mich schließlich mit einem Metalldetektor auf Waffen untersuchte. Während ich dann eine Treppe höher auf die Aushändigung des Empfehlungsschreibens wartete, blätterte ich im Angesicht der Konterfeis aller bisherigen Bundespräsidenten im ausliegenden Infomaterial über Deutschland, wo ich beiläufig in der Ferne so manch Interessantes und Unbekanntes über meine Heimat erfuhr.

Dann hieß es, schnell hinauf ins Ministerium für Thrakien und Makedonien zu eilen, wo ich mein erstes Empfehlungsschreiben gegen ein zweites einzutauschen hoffte. In den endlosen Gängen mit ihren zahllosen Büros eilten Beamte und Angestellte eifrig hin und her, Türen öffneten und schlossen sich lautlos, Burschen mit Tabletts brachten Tässchen mit griechischem Mokka in die Amtsstuben. Nur vor einer Tür sammelten sich Leute mit ganz anderem Aussehen: auch im Sommer mit Anoraks, Windjacken, Bergsteigerhosen, Trekkingschuhen total "overdressed", warteten sie vor dem Büro der Sachbearbeiterin für Athosangelegenheiten auf das begehrte Schreiben, in dem die Möchsregierung um Ausstellung eines Diamonitirions gebeten wird. Schon damals wunderte ich mich, womit diese Frau wohl den Rest des Tages beschäftigt ist und welche Funktion denn eigentlich ihr Vorgesetzter ausübt, der statuenhaft, rauchend und schweigend an einem leeren Schreibtisch im selben Büro saß. Aufklärung über diese Feinheiten griechischen Staatsbeamtentum erhielten wir erst kürzlich (Jahrzehnte später) im Zusammenhang mit der von Griechenland verursachten Eurokrise - doch das nur nebenbei!

Endlich im Besitz dieses Schreibens konnte ich also am 4. Juni meine erste Athosreise antreten: Früh um 6:00 Uhr in den Bus, der zuerst von Sarti bis zur Südspitze von Sithonía hinabfuhr, dann an der Westküste wieder hinauf, wo ich irgendwo zum erstenmal umstieg in Richtung Polýgiros, dort erneutes Umsteigen in den Bus nach Ag. Pródromos, der Ort mit seinen berühmten Souvlaki-Tavernen. Dort Warten auf den Bus aus Thessaloniki, der dann bis Ouranoupolis durchfuhr, damals auf der noch nicht ausgebauten Straße. Die Strecke Sarti - Ouranoupolis, Luftlinie gut 25 km, wurde so in 10stündiger Fahrt zurückgelegt. Der Abend dann wie aus dem Bilderbuch - ein feuriger Sonnenuntergang, unzählige Fischerboote schaukeln in der leichten Brandung, Rotwein, Fisch....

 
 

 

 

 

1. Tag

Am nächsten Morgen dann statt beschaulicher Idylle hektische Betriebsamkeit: Wer will da nicht alles auf das Fährschiff nach Daphni! Ein LKW mit Mulis rangiert rückwärts auf die Ladefläche, ein kleiner Mähdrescher tut es ihm gleich, Mönche, Uniformierte, Arbeiter, einige Deutsche, die ich schon in Thessaloniki gesehen hatte (immer noch overdressed). Mit lauten Schreien - éla, éla, éla, peráste, péraste - werden die Fahrzeuge zentimetergenau auf das Deck gelotst und eingeparkt. Die Pässe und Empfehlungsschreiben werden genauestens kontrolliert und dann eingesammelt. Auf den Personendecks suchen sich die Fotowütigen die strategisch günstigsten Plätze auf der Backbordseite der "Axion estin". Auch ich bin einer von ihnen. Während sich das Fährschiff nach Südosten die Küste hinunterarbeitet, Ouranoupolis den Blicken entschwindet, sauge ich alle Eindrücke begierig in mich auf, banne vermeintlich Wichtiges auf Diafilm und bin völlig von Meer und Landschaft umfangen, die Sinne geöffnet für diese Pilgerreise.

An einer unscheinbaren Anlegestelle mit einem (damals noch) recht heruntergekommenen Kéllion verläßt als erstes der Mähdrescher das Schiff. Daß er die Getreidefelder zwischen Chílandar und Esphigménou abernten soll und daß dieses Kéllion einmal der Ort auf dem Athos sein wird, wo ich die meisten Nächte Gastfreundschaft erfahren werde, wußte ich bei dieser ersten Reise noch nicht. Nachdem Menschen, Tiere und Fahrzeuge schließlich in Daphni dem Schiff regelrecht entquollen waren, wurden die Weiterreisenden mit ihrem Gepäck in den wartenden Bus verstaut. Statt TÜV-Plakette versprach die im Cockpit mit Bildchen und Lämpchen improvisierte Ikonostase sicheres Ankommen in Karyes, und ich garantiere: keines der Bildchen war umsonst angebracht, kein Lämpchen leuchtete vergebens! Die Fahrt - nichts für Leute mit schwachen Nerven!

Der viergeteilte Stempel auf dem Diamonitírion

Natürlich kamen wir gut oben an. Damals wie heute bin ich überwältigt, wenn nach Überquerung des Höhenrückens der erste Blick in den Talkessel fällt, in dem wie hingestreut die Gebäude von Karyés liegen und an dessen Rand die mächtige Skiti Andréou thront. Nach dem ganzen Lärm dieser mehrstündigen Anreise dann ehrfurchtsvolle Stille in der Eingangshalle der Iéra Kinótis, dem Amtssittz des Athos-Präsidenten: Ich wußte nicht, was jetzt weiter geschehen wird und wartete mit den anderen Pilgern. Eigentlich hatte ich mir das alles ganz anders ausgemalt. Hier rumsitzen, sich fremd fühlen - das stand nicht in den Büchern, die ich gelesen hatte. Als ich dann schließlich nach Aushändigung des Diamonitirions erfuhr, daß kein Bus mehr zurück nach Daphni geht war ich vollends ratlos, meine Pläne, heute noch nach Símonos Pétras zu kommen, konnte ich abschreiben. Statt auf eigene Faust loszuziehen, heftete ich mich an die Fersen der griechischen Pilger und ließ mich mit ihnen zur Nordostküste hinunter fahren - so wurde Ivíron das erste Athoskloster, in das ich meinen Fuß setzte.

Kloster Iviron

Es machte trotz der wuchtigen Außenansicht einen ärmlichen Eindruck, Mauern waren eingestürzt, überall bröckelte der Putz. Erneut war Warten angesagt. Die sonst übliche Begrüßungsgabe bei Ankunft in einem Kloster - Kaffee, Wasser und Loukoúmi - reduzierte sich auf das Loukoúmi, das ein alter Zivil-Grieche aus einer Pappschachtel anbot. Inzwischen war mir klar, daß ich der einzige Nichtgrieche und somit Nichtorthodoxe war. Meine Griechischkenntnisse beschränkten sich damals noch auf ein paar Grußformeln, verstehen konnte ich bei der in Griechenland üblichen Sprechgeschwindigkeit ohnehin nichts. So blieb mir leider vieles verborgen, als unserer Pilgergruppe die Kapelle der Portaítissa und die Bibliothek gezeigt wurden, dies war um so bedauerlicher, als letztere sich dem Athospilger nur selten öffnen. Ich hatte mich noch zu wenig mit orthodoxer Theologie und Religiosität beschäftigt, als daß ich die Bedeutung der Ikonen für die Christen des Ostens angemessen hätte würdigen können. Überrascht war ich allerdings, im Vorraum der Kapelle Fresken aller wichtigen griechischen Philosophen zu sehen. Prunkstück der Bibliothek: ein Mantel von Kaiser Johannes Tsimiskís. Meine damals noch völlige Unkenntnis der byzantinischen Geschichte verwehrte es mir, die Bedeutung dieses Exponats (speziell auch für die Athosmönche) zu erfassen. Tsimiskís war ein großer Förderer des Athosmönchstums und wird dort wie ein Heiliger verehrt, obwohl er seinen Vorgänger Nikíphoros Phokás (auch ein großer Förderer des Mönchtums) mit Unterstützung dessen Frau ermorden ließ, sich selbst auf den Thron setzte und die nun verwittwete Kaiserin zu seiner eigenen machte.

Zum erstenmal ertönte nun das Simándron und rief mich zu meinem ersten orthodoxen Gottesdienst: Der Wechselgesang zweier Mönche (der jüngere von beiden hatte eine satte Baßstimme!) versöhnte mich wieder mit dem Tag. Ein dritter fiel gelegentlich mit ein, und zum erstenmal hörte ich das mit  maximaler Geschwindigkeit bis zu 40mal wiederholte "Kyrie eleison", bei dem die Silben zu einem "K'leis, K'leis, K'leis" verschmelzen. Auch die griechischen Pilger beteiligten sich aktiv am Singen, von den Mönchen mit einem tiefen Orgelpunkt unterlegt.

Dem Gottesdienst folgte ein einfaches Mahl: Getrennt von den Mönchen wurde uns Pilgern ein Teller mit (kalten) Nudeln vorgesetzt, mit Schafskäsebrocken bestreut, in der Mitte des Tisches ein Teller mit Oliven, dazu Wasser und ein Becher essigartigen Weines. Danach erfolgte die Zuteilung der Schlafplätze: Längst als "Westler" enttarnt, sollte ich hinter einem Bretterverschlag auf einem Strohsack nächtigen - ich würgte einen polyglotten Protest hervor, worauf man mir eine Liege in einem engen Korridor anbot, den ich nun nicht mehr ablehnen konnte. Was mich damals noch beleidigte, lernte ich bei meinen vielen folgenden Athosbesuchen zu schätzen:  Zwar stigmatisiert als Nicht-Dazugehöriger aber befreit von der lärmenden Schar der Rechtgläubigen unter einem Frischluft spendenden Fenster, mit der Zeit, alles in mich aufzunehmen und alles auf mich wirken zu lassen.

2. Tag: Von Iviron nach Megístis Lávras  -  Kloster Karakallou

Eines der wichtigsten Dinge, die ein Athosbesucher lernen sollte ist: spontanes Entscheiden und mutiges Ändern vorgefasster Pläne! Unwillig, mich wieder in den unbequemen Bus zu zwängen, machte ich mich per pedes auf den Weg hinunter nach Megístis Lávras.

Copyright 2021. Diese Seite wurde zuletzt am 20.03.2021 bearbeitet.

 

 

 

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